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Die Existenz des bäuerlichen "Plenterwaldes", ein sich stetig verjüngender Wald, in dem Bäume aller Dimensionen vermischt sind, ist untrennbar mit einer besonderen Baumart verbunden: Der Tanne (abies alba).

Sie gedeiht bevorzugt in Regionen mit einem ausgeglichenen Klima, hohen Niederschlägen und hoher Luftfeuchtigkeit. Daher ist sie den Gebirgen in der Hauptwindrichtung südwestlich vorgelagert, wo sich die feuchten ozeanischen Luftmassen abregnen. Die Weißtanne hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Vor 20.000 Jahren bis 30.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung, als die eiszeitlichen Gletscher eine Fläche von ca. 55 Mio. km2 (heute: ca. 18 Mio. km2) einnahmen, hatte sie sich längst in wärmere Gefilde zurückgezogen. Das Gebiet der Bundesrepublik war im Norden von der skandinavischen Vereisung, im Süden von den Alpengletschern bedeckt. Im Zwischenraum, dem Periglazialgebiet, gedieh nur eine kälte- und trockenresistente Zwergvegetation. Unseren heutigen Hauptbaumarten bot dieser Bereich keine Lebensmöglichkeiten. Während dieser Zeit lag das Verbreitungsgebiet der Tanne in den eisfreien südeuropäischen Gebieten südwestlich der Pyrenäen, der Apenninen und des Balkans.
Nach LANGER (1958) wanderte die Tanne in der Nacheiszeit auf einem südwestlichen Weg über den Schweizer Jura in die Vogesen und Schwarzwald, Baar und Südalb ein. Über einen Südweg über die Alpenpässe überwand die Tanne die Zentralalpen und erreichte schließlich über das Allgäu den Bodensee und das westliche bayerische Alpenvorland. Ein östlicher Rückweg führte über Ostbayern in die Sudeten und das Erzgebirge.
Genetische Untersuchungen von BERGMANN (1990) weisen für die Tannenvorkommen in Kalabrien die höchste genetische Vielfalt und Variationsbreite aus. Dies lässt darauf schließen, dass die Tanne in diesem Refugium seit langem in einer stabilen Umgebung existiert hat und sich in Ruhe ihr genetisches Potential aufbauen konnte. Aufgrund der langen Rückwanderung nach Norden und Osten könnte sich der Verlust an genetischer Vielfalt der mittel- und osteuropäischen Tannenvorkommen erklären. Die neueren genetischen Untersuchungen der Tannen des westlichen Schwarzwaldes deuten auf eine enge Verwandtschaft zu den Tannen im französischen Verbreitungsgebiet.

Das heutige Hauptverbreitungsgebiet der Tanne erstreckt sich über die schweizerischen, die bayerischen und die österreichischen Alpen und den Schwarzwald. An die Ostalpen grenzt ein Verbreitungsgebiet, das den Bayerischen Wald, den Schwäbisch-Fränkischen Wald, das Fichtelgebirge und den Thüringer Wald anschließt. Weiter nach Osten erstrecken sich die Tannenvorkommen von Tschechien der nördlichen Ränder des Erzgebirges und der Sudeten. Die südöstliche Grenze des Verbreitungsgebietes der Tanne bilden die Karpaten. An extreme und trockene Klimazonen ist sie weniger gut angepasst, sie fehlt daher in den kontinental geprägten Gebieten.

Geduldiges Warten im schattigen Unterholz, Entfaltung im Licht

Die Tanne ist an sich eine empfindliche und anspruchsvolle Baumart mit bestimmten Ansprüchen an ihre Umgebung. Dies zeigt sich unter anderem durch ihre Beschränkung auf ein Verbreitungsband im submontanen (650 – 900 m.ü.M.) bis montanen Bereich (900 – 1.500 m.ü.M). Sie braucht eine Vegetationszeit von mindestens 3 Monaten mit ausreichenden Niederschlägen. In den Bergwäldern ist sie oft mit der Buche vergesellschaftet. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass der höhere Stammabfluss der Buche bei Niederschlägen sich positiv auf die Wuchsleistung der Weisstanne auswirkt.
So hat die Tanne bestimmte Vorzüge, die ihren Platz im Laufe der Geschichte in den Hofwäldern der Mittelgebirge wissentlich oder zufällig gesichert haben.
Schon die kräftige Pfahlwurzel unterscheidet sie deutlich von der Fichte, deren Flachwurzelwerk für ihre Windanfälligkeit mitverantwortlich ist. Selbst in dichtgelagerten Unterböden ist das Ausbreitungsvermögen der Tannenwurzel enorm, was zu einer erhöhten Stabilität gegenüber Windwurf führt. Während großflächige Fichtenanpflanzungen zur Versauerung des Oberbodens führen, erhält die bis in die Basenzone wurzelnde Tanne durch ihre Nadelstreu den Oberboden gesund. Diese Fähigkeit der natürlichen Bodenmelioration hat ihr gelegentlich die Bezeichnung "Nadelholz mit Laubbaumeigenschaften" eingebracht.

Ihre größte Stärke ist jedoch ihre Fähigkeit, besonders in der Jugend mit extrem wenig Licht auszukommen. Sie ist in der Lage, im Schatten zu keimen, und bildet alsbald flach geformte Nadeln aus, die jeden Lichtstrahl einfangen. In dieser Weise kann sie jahrzehntelang geduldig warten, bis im Kronendach eine Lücke entsteht. Dann stellt sie langsam ihr "Kraftwerk", d.h. ihre Benadelung auf die neue Situation ein. Die ursprünglich flach angelegte Benadelung wird nun durch bürstenförmige ersetzt, der Nadelquerschnitt wird rundlich, die sogenannte Lichtbenadelung wird angelegt. Bald nimmt ihr Höhenwachstum deutlich zu. Diese Zunahme des Wachstums aufgrund der Freistellung lässt sich am geernteten Stamm eindeutig am Verlauf der Jahrringbreite feststellen.
Die Wuchsleistung der Tanne übertrifft bei optimalen Standortsbedingungen die der Fichte. Tannenwälder gehören daher zu den produktivsten und vorratsreichsten Wäldern in Europa.
Ein weiterer Vorteil ist, dass es keine Borkenkäferart gibt, die ganze Tannenbestände vernichten kann – wie z.B. der Buchdrucker (Ips typographus) bei der Fichte.
Einer anderen braunen Kreatur ist die Tanne jedoch aufgrund der langjährigen Jugendphase stärker ausgesetzt. Für das Rehwild sind die kleinen Pflanzen offenbar höchst schmackhaft und sind ihm langjährig schutzlos ausgeliefert. In vielen tannereichen Wäldern führte dies dazu, dass zwar im Altholz der Tannenanteil überwiegt, am Boden jedoch die Tanne fehlt. Hier wurde sie über Jahrzehnte laufend "herausgefressen", sie hatte keine Chance an das Licht und damit an das Kronendach zu gelangen.
Jedoch ist die Tanne nicht ganz vor Krankheiten gefeit. Ein Schlauchpilz, der über die Sternmiere übertragen wird, befällt zunächst nur die Nadeln. Später verursacht er an Jungtannen Verdickungen an den Ästen oder wilde Verzweigungen, den sogenannten "Hexenbesen". Wächst dieser Pilz in den Stamm ein, entsteht eine dicke Aufbauchung, auch "Rädertanne" genannt. Besonders nach feuchten Frühjahren macht eine weitere Pilzerkrankung, die "Nadelbräune", besonders jungen Tannen zu schaffen.

Unterhalb der optimalen Höhenstufe der Tanne tritt verstärkt Mistelbefall auf. Die Samen dieses Schmarotzers werden durch Vögel übertragen. Einwachsungen im Holz entwerten den Stamm beträchtlich. Das Holz der Tanne war seit jeher sehr begehrt. Es ist von der Maserung her dem der Fichte sehr ähnlich. Es fehlen jedoch Harzkanäle und Harzgallen, die bei der Fichte für die anschließende Holzbehandlung hinderlich sind. Sehr früh erkannten die Menschen, dass das Tannenholz wechselnde Feuchtigkeit besser verträgt als Fichtenholz. Die Dachschindeln und andere Teile alter Bauernhöfe, Wasserleitungen (sog. Deucheln) und die Brunnentröge wurden daher bevorzugt aus Tannenholz gefertigt.

Holznutzung im Bauernwald: Wie der Plenterwald entstand

Zwischen 1100 und 1400 erreichten die Städte rund um den Schwarzwald ihre mittelalterliche Blütezeit. Mit dieser Phase des Wohlstandes nahm die Bevölkerung und damit der Nahrungsbedarf zu. Dieser Umstand führte zu einer Verknappung vieler Ressourcen, besonders die Flächen zur Nahrungsmittelproduktion reichten nicht aus. Die sogenannte Kolonisation der Mittelgebirge aus den Gebieten des Altsiedellandes heraus wurde vorangetrieben.
Die Geometer der Klöster schritten Täler und Bergrücken der Mittelgebirge ab und teilten die Lehen möglichst gerecht, in der Regel quer zum Tal, ein. Je nach Höhenlage und Bodengüte fiel das Hofareal größer oder kleiner aus. Zunächst wurde die spätere Hofstelle gerodet, das erforderliche Bau- und Werkholz wurde an Ort und Stelle gewonnen, es folgten Rodungen für die Äcker und Weiden. Die Hofwälder beschränkten sich meist auf die nördlichen Berghänge, den "Winterwald".
Die Hofgebäude im Schwarzwald wurden meist als Eindachgebäude (Wohnung und Stall unter einem Dach) vom Heidenhaus-Typ gebaut. Es war bis auf das Fundament aus Bruchsteinen vollständig aus Holz gebaut. Man benötigte hierfür ca. 500 m3 , in Einzelfällen bis zu 800 m3 Rundholz. Natürlich erforderten diese Gebäude laufende Unterhaltungs- und Teilerneuerungsarbeiten. Im Winter wurden zudem etliche Mengen an Brennholz für die im Haus liegenden, zunächst offenen Feuerstellen benötigt. Weiterhin erforderten die Weidezäune laufende Erneuerung aus Fichten- und Tannenstangen. Bedenkenlos wurde dieses Holz dann geholt, wenn man es gerade benötigte, und der Transportweg sollte möglichst kurz sein. Der Aushieb erfolgte Einzelbaumweise, aber auch ganze Baumgruppen wurden herausgehauen. Aus Gewichtsgründen wurden die Bäume für die Massivbalken an Ort und Stelle zugehauen.
In den älteren Aufzeichnungen wird diese Nutzungsform als "Schleichwirtschaft", "Zipfelswirtschaft", "Auslichten" oder "Plätzen" (Platz, Raum schaffen) bezeichnet. Es war der Zeitraum des "ungeregelten Plenterns", welches in Unkenntnis ohne Rücksicht auf Verjüngung und Holzvorrat erfolgte. Dies war zunächst nicht tragisch, da der Zuwachs über der zur Eigenversorgung notwendigen Holzmenge lag. Erst als sich durch weitere Zunahme der Bevölkerung und der daraus resultierenden Nachfrage nach Holz ("Holländertannen" und Flößerei) ein Holzmarkt entwickelte, wurde die Lage ernst.
Die planlose Waldbewirtschaftung führte in einigen Gegenden zu einer Zerstörung und Verlichtung der Wälder. In einer historischen Aufzeichnung wird der Abstand der verbliebenen Bäume mit der Entfernung eines "Büchsenschusses" verglichen. Durch eine Unzahl von Forstordnungen und drakonische Strafen versuchte man daher ab 1800, dieser planlosen und zerstörenden Ausbeutung der Wälder Herr zu werden.
Die Ursprünge des diese Waldbewirtschaftung beschreibenden Begriffs "Plentern" oder "Femeln" sind umstritten. Am eindeutigsten scheint der Begriff "Femeln" erklärbar zu sein. Er geht nach HUNDESHAGEN und HEYER auf die Hanfernte zurück, wobei im Prozess des "Fimmelns" die früher reifenden Hanfstängel in mühsamer Arbeit herausgezogen wurden (Sprichwort "Fimmel"!).
Schwieriger stellt sich die Frage nach der Herkunft des Begriffs "Plentern" dar. Nach ERNST geht der Begriff auf die althochdeutschen Begriffe "blantan" = mischen und "blenten" = blenden zurück. Denkt man an den heutigen angelsächsischen Begriff "to plant" = Pflanzen, so liegt der Verdacht nahe, dass auch der Begriff des "Plenterns", wie beim "Femeln", aus dem Gartenbau entliehen wurde. Dafür spricht, dass unsere Nachbarn im Elsaß und Frankreich beim Plenterwald vom "forêt jardinée", also vom "gartenartigen" Wald sprechen.

Der Plenterwald, ein kaum erreichbares Ideal

Wenn man in einen ideal gepflegten Plenterwald hineinschaut, ist er in seiner horizontalen Struktur aus Jungwüchsen, Stangen- und Baumhölzern innig gemischt aufgebaut. Könnte man ihn von oben betrachten, würde man im Aufriss ebenfalls eine innige Durchmischung verschiedenster Stammdurchmesser feststellen. In diesem Stadium findet die Ernte der starken Stämme und die Pflege der Verjüngung auf fast derselben Fläche statt. Bei der idealen Plenterung wird ein Gleichgewichtszustand hinsichtlich Zuwachs und Struktur angestrebt. Dieses Gleichgewicht ist jedoch ein labiler Zustand und kann nur durch konstante Holznutzungen in allen Durchmesserklassen dauerhaft erhalten werden. Bei den alten Hofwäldern förderte die laufende Eigenversorgung mit unterschiedlichsten Holzsortimenten diese Struktur. Auch der laufende Bedarf an "Holländertannen" zur Sicherung der Stadtfundamente der Hafenstädte verhinderte einen Starkholzüberschuss und das Zusammenwachsen zum einschichtigen Bestand.

Plenterwaldforschung wird an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg seit 1892 betrieben. Auswertungen dieser langen Zeitreihen zeigen, dass die Zuwächse etwas unter denen der schlagweisen Hochwälder liegen. Vergleicht man die Zuwächse der letzten 100 Jahre, so sind sie bis auf einige Einbrüche in den 70er Jahren ("Tannensterben") konstant geblieben oder sogar leicht gestiegen.